Free Libya: Demokratie auf der Basis des Verbrechens

Eine Analyse von Fartâb und Ardašir Pârse

Heute, wo die ersten Blüten des Sieges der „Gemäßigten Islamisten“ bei den freien Wahlen des „Arabischen Frühlings“ in Tunesien blühen, Wahlen, die von internationalen Beobachtern als demokratisch bezeichnet wurden, dürfen wir die Augen nicht vor den Folgen dieses Sieges verschließen und an ähnliche Wahlen wie in Algerien, in den 80ger Jahren, denken.

 Dieser Artikel wurde ins Niederländische übersetzt

Die algerische Erfahrung und die nicht zu Ende geführten Wahlen hatten während der Jahre 1988 bis 1992 mehr als 150.000 Algerier das Leben gekostet, die in den Auseinandersetzungen zwischen den Islamisten und der algerischen Regierung ums Leben kamen. Trotz dieser besorgniserregenden Ähnlichkeit unterscheiden sich Tunesien und Algerien sehr von einander. Tunesien hat durch einen friedlichen Weg einen Wechsel erlebt, und die Rolle der Armee in diesem Land ist eine ganz andere gewesen, als die, der algerischen Armee.

Der große Unterschied zwischen Tunesien und Algerien ist aber auch, dass die Islamisten der Partei Ennahda [النهضة] im Gegenteil zu den islamistischen Extremisten der Islamischen Heilspartei FIS [الجبهة الإسلامية للإنقاذ‎] behaupten, dass sie die demokratischen Errungenschaften, darunter die Rechte der Frauen in Tunesien nicht antasten würden. Trotzdem, zerbrechen sich die Tunesier bezüglich dieser Frage den Kopf; wie weit können sie den Repräsentanten der Partei Ennahda vertrauen? Obwohl Raschid al-Ghannouchi, laut der französischen Zeitschrift Le Nouvel Observateur „die amerikanischen Politiker sehr von sich und seinem türkischen Modell für seine Partei überzeugt hat, so dass sie ihn hinreißend finden“, dürfen wir nicht die Tatsache außer Acht lassen, dass die islamischen Länder voneinander tangiert werden. Ein Beispiel sind die Islamisten in Ägypten und ihr Verhalten den friedlichen Kopten gegenüber, und die aktuellen Äußerungen eines Mustafa Abdul Jalil, der Führer des nationalen Übergangsrates in Libyen, über die Einführung des „Islamischen Bankwesens“ und die Abschaffung der Monogamie in Libyen.

Man darf sich fragen, ob es nicht sein könnte, dass die westliche Welt, die Kinder von Descartes und Rousseau, den Motor der Demokratie in Bewegung gesetzt haben, um damit die Islamisten nach demokratischen Prinzipien wie „freie Wahlen“ an die Macht zu bringen? Was würden heute diese beiden Philosophen sagen? Sie würden bestimmt sagen: „Die Demokratie kann auf der Basis des Verbrechens nicht entstehen“.

Die entsetzlichen Bilder der Hinrichtung Gaddafis, der, wie arabische Medien  kürzlich in einem Video Clip enthüllt haben, vor seiner Hinrichtung vergewaltigt wurde und ebenso seine weibliche Leibgarde und viele andere, darunter auch sein Sohn Mutassim gefoltert und hingerichtet wurde , sind kein gutes Fundament für eine Demokratie in Libyen. Es sind schreckliche Szenen, die dem gesunden Menschenverstand ein Bild des Grauens bieten, Szenen, die Albträume verursachen und die barbarischen, primitiven und verbrecherischen Eigenschaften derjenigen zum Vorschein bringen, die nicht nur Gaddafi so massakriert haben, sondern auch viele seiner Anhänger unter dem Schirm und Schutz der NATO und heute mittels freier und demokratischer Wahlen einen Neubeginn fordern.

Alle Regierungen und Regimes, deren Fundament auf Blut gebaut wurde, konnten nie die Botschafter der Freiheit und Demokratie sein. Beispiele gibt es zuhauf: Die Französische Revolution, die nicht nur die königliche Familie ermordete, sondern am Ende auch ihre Kinder und Erschaffer; die Russische Revolution, die auch die Zarenkinder niedermetzelte; die Revolutionen in China und Kuba, die jahrelang gemordet und Blut vergossen hatten, um ihre Macht zu etablieren und vor 33 Jahren die Islamische Revolution in Iran, die bis heute wütet und mordet. Wird „der Arabische Frühling“ eine historische und gesellschaftliche Ausnahme sein? Ist das Verschwinden lassen der Leichen von Terroristen [Osama bin Laden] und von Diktatoren [Gaddafi] in die Tiefe der Ozeane und Wüsten eine Lösung für den Terrorismus und der Beseitigung von Diktatoren!?

Wie kann man also optimistisch werden und bleiben, wenn in westlichen Medien ständig die Szenen der „Freude und Feier“ der libyschen Bevölkerung über den entsetzlichen Tod und die Hinrichtung von Gaddafi gezeigt werden, und die westlichen „freien Medien“ kaltblütig und ständig diese Szenen zeigen und ihre Artikel mit Überschriften und Sätzen wie „die Freude der Libyer über den Tod des Diktators“ oder „That’s for Lockerby verzieren? Vertreter „westlicher Werte“ begrüßten die Missachtung der Menschenrechte im Fall Gaddafis weitgehend. Dabei liegt die Macht in Libyen heute nicht einmal beim nationalen Übergangsrat, sondern bei lokalen bewaffneten Milizen – die Destabilisierung Libyens ist der NATO gelungen. Die Forderung nach Aufklärung der Todesumstände Gaddafis ist rein theoretischer Natur, denn die in die Kriegsverbrechen verwickelten Milizen werden wohl kaum gegen sich selbst ermitteln. Die noch kurz zuvor geäußerte Forderung der US Außenministern Hillary Clinton, Gaddafi „Tod oder lebendig“ zu fassen, und ihre jetzige Forderung nach schonungsloser Aufklärung erscheint sicher nicht glaubwürdig.

In Anbetracht dieser Umstände und den Parallelen zu anderen Militäreinsetzen, wie in Afghanistan, in denen als Kriegsgrund u.a. entweder die Nichteinhaltung der Menschenrechte oder die Rückständigkeit der islamischen Scharia genannt wird und wurde, führt die Beibehaltung der Scharia in Afghanistan, die Einführung der Scharia zuerst in Irak und jetzt in Libyen den politischen Beobachter ad Absurdum.

Die Geschichte wiederholt sich und die Menschen lernen nicht daraus und  haben sogar die jüngste Vergangenheit sehr schnell vergessen. Der Mord an Gaddafi im Oktober 2011 durch die sog. „Rebellen und Freiheitsliebenden“ Libyer ist genauso schändlich und verbrecherisch gewesen, wie der Mord an Mohammed Nadjibullah, dem marxistischen Staatspräsidenten von Afghanistan, im September 1996 durch die Taliban:

Als die Sowjets Afghanistan 1987 verließen, hinterließen sie eine relativ funktionsfähige Regierung unter Nadjibullah. Afghanistan hätte sehr wohl zur Ruhe kommen können, wenn das Ausland es nur gewollt hätte:  Als die UdSSR 1991 zerbrach, versiegte die Geldquelle, welche Nadjibullahs afghanisch-sowjetische Regierung am Leben erhielt, die dem Land relative Ruhe beschert hatte und von einer Orientierung weg vom Sozialismus sowjetischer Prägung, hin zu einer mehr afghanischen Regierungsweise geprägt war. Geld und politische Ämter wurden klug an verschiedene Stämme verteilt. Bis dahin hatten die USA, laut einem Artikel in „Foreign affairs“, immer noch jährlich 500 Millionen Dollar in die Taliban investiert, obwohl der Krieg schon seit drei Jahren vorüber war. Danach ging die Unterstützung der Taliban mittels Saudi Arabien und Pakistan weiter, was im Wesentlichen das gleiche bedeutete: Unterstützung durch die USA. 1996 schließlich, kamen die Taliban an die Macht, Nadjibullah wurde von den US-unterstützten Taliban, einfach tot auf einem öffentlichen Platz an den Beinen aufgehängt und  zur Schau gestellt.

Es spielt keine Rolle, ob Rebellen ihren Diktator aus einem Abwasserkanal in Libyen herausgezogen haben oder aus dem UN-Hauptquartier in Kabul. In beiden Fällen waren hinter den Kulissen westliche Mächte tätig und sie waren die Unterstützer der sog. „libyschen Freiheitsliebenden“ genauso wie sie die der  „afghanischen Islamisten“ waren! Kann man auf der Basis des Verbrechens Demokratie wachsen und gedeihen lassen, und das auch noch in Ländern, in denen die Mittel und Gedanken zur Demokratie schon jetzt im Keim erstickt wurden? Die Rufe nach dem nächsten Militäreinsatz sind schon laut und deutlich zu hören, so forderte der Republikaner Mc Cain in den USA nach Abzug der NATO in Libyen den Militäreinsatz in Syrien.

7 Gedanken zu „Free Libya: Demokratie auf der Basis des Verbrechens

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  5. Letztendlich machen es die US-Strategen wirklich sehr clever.
    Man züchtet sich am Mittelmeerraum islamistische Systeme heran die dann wenn die Zeit reif ist schön die Europäer in Schach halten können.
    Divide et impera, von den Cäsaren lernen heißt siegen lernen.

    Das wird noch ein bitteres Erwachen auch für die Claqeure hier geben wenn ihre Kinder eines Tages gegen diese Gestalten in den Krieg ziehen müssen.

    • Tja, halt durch Kriege leben dunkle Mächte und ernähren sich von der ständigen Sorge und negativen Energie auf der ganzen Welt! Gestern Abend habe ich V wie Vendetta geguckt!

      V wie Vendetta!!!

      Was mich faszinierte, war, dass man vom Anfang an kein Gesicht dem Vendetta zuordnen konnte und der Held hatte kein Gesicht, dafür aber unheimlich viel Power und Kraft und sogar als er tot im Zug gefahren wurde, konnte man kein Gesicht sehen und der Zuschauer war ständig neugierig, dass nun jetzt nach seinem Tod die junge Frau ihm die Maske wegnimmt und man kann endlich hinter der Maske das Gesicht des großartigen Helden sehen. Aber, am Ende des Films, als tausende Vendettas auf der Straßen waren und ihre Masken entfernt hatten, konnte man die Gesichter hinter tausenden Vendettas sehen und die junge Frau antwortete zur Frage, wer Vendetta war, dass Vendetta ich, du, er, wir und so weiter sind.

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